Denen soll man keine Plattform bieten …

Diesen Satz hört man ständig und er bedeutet im Regelfall: «Ich bin nicht deren Meinung und deswegen sollten sie ihre Meinung nicht öffentlich kundtun dürfen (insbesondere, so lang mir keiner eine Plattform für meine, die richtige Meinung gibt).» Ich gebe (ungern) zu, dass der Teil in der Klammer etwas überspitzt ist.

Besonders gern wird der Satz dann bemüht, wenn ein Medium, das wir eigentlich auf «unserer Seite» wähnen, jemandem von der «anderen Seite» Platz/Zeit einräumt. Und bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch richtig: Wenn mein Medium Pro-Asyl ist, sollte ich die Thesen eines Herrn Sarrazin vielleicht nicht umkommentiert abdrucken, ihn vielleicht nicht zum Interview laden und von einer Vollpfeife befragen lassen.

Die beiden wichtigen Begriffe hier sind «umkommentiert» und «Vollpfeife».

Wenn jemand nicht meiner Meinung ist, habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann ihn ignorieren («denen keine Plattform bieten») oder mit ihm diskutieren und damit vielleicht denjenigen selber oder auch einen seiner Gleichgesinnten zum Nachdenken bringen. Jemanden zu ignorieren, der andere beeinflusst, kann ich mir in einer aufgeheizten politischen Landschaft nicht mehr erlauben. Mit jemandem zu diskutieren, dessen geistige oder wenigstens rhetorische Überlegenheit mir bewusst ist, ist zumindest Riskant.

Das Zauberwort ist «Einordnung»

Es tut mir leid. Mir wäre auch «Vollpfeife» als Zauberwort lieber gewesen. Vielleicht finde ich mal ein Thema, bei dem das das Zauberwort sein kann.

Nehmen wir an, ich halte die Aussagen eines Andersmeinigenden (ich habe ein Wort erfunden!) für dumm, gefährlich oder schlicht falsch. Wie sollte ich damit umgehen? Die Aussage «Der ist dumm/gefährlich. Über sowas rede ich gar nicht.» verschafft der anderen Meinung ebenso Geltung und Validität, wie sie umkommentiert zu übernehmen. Gleichgesinnte sehen nur «Der kann nichts gegen die Inhalte sagen, also wird er persönlich oder ignoriert das Thema.»

Als jemand, der gerne persönlich wird, weil es nunmal zu viele dumme oder gefährliche Menschen gibt, die munter vor sich hin lügen, ist das schmerzhaft. Wie gerne würde ich dummen Menschen sagen, dass sie dumm sind. Ein «Entschuldigung, nimm's nicht persönlich, aber bist Du dumm?» ist befreiend, aber nicht zielführend.

Deswegen muss ich mir die unglaubliche Arbeit machen, Aussagen einzuordnen, inhaltlich auf Lügen und Denkfehler hinzuweisen. Damit investiere ich zwar Zeit in etwas, das mir gegen den Strich geht, aber vielleicht kann ich damit was bewegen. Natürlich kommen dann ehrenamtliche Trolle unter den Brücken vor, deren kognitive Kapazität schon mit Geradeauslaufen mehr als ausgelastet ist und schreien «Lüge!», «Vaterlandsverräter», «Gutmensch» oder «Reaktionärer Arsch» (in beliebigen orthografischen Ausprägungen). Natürlich muss ich damit klarkommen, muss wiederum falsche Aussagen widerlegen, vielleicht sogar umdenken, weil ich erkenne, dass ich einen Denkfehler gemacht habe.

Aber meine Medien …

Für Medien gilt doch dasselbe: Man muss nicht jeden Furz aufnehmen, aber wenn tausende Menschen über etwas diskutieren, sollte man diesen Menschen bei einer Einordnung helfen – grade weil 98% sowohl der Pro- als auch der Contra-Fraktion die Inhalte nicht kennen. Über 90% scheitern ja auch bei Onlinemedien daran, mehr als die Überschrift zu lesen, bevor sie kommentieren. Ich bin entweder dafür, weil die wahrgenommene Grundaussage für mich stimmt, oder ich bin dagegen, weil sie nicht stimmt.

Ich habe einen Laberflash, deswegen jetzt zurück zum Thema:

Gebe ich zum Beispiel einem Herrn Sarrazin eine Plattform, weil ich zehn Aussagen aus seinem Buch herausgreife und diese fundiert widerlege? Wahrscheinlich nicht. Gäbe ich ihm eine Plattform, wenn ich zehn offensichtlich falsche Aussagen aus seinem Buch herausgreife, veröffentliche und es meinen intelligenten Lesern überlasse, sie einzuordnen und als falsch zu erkennen? Jupp!

Gebe ich zum Beispiel einem Herrn Köppel eine Plattform, wenn ich ihn zu meinen Bedingungen interviewe, Aussagen hinterfrage, nachfrage und mich nicht mit Politikereinheitsaussagen abspeisen lasse? Wahrscheinlich nicht. Gäbe ich ihm eine Plattform, wenn dieses Interview von einem unerfahrenen und unterlegenen Journalisten geführt wird, der sich der rhetorischen Strategie eines Herrn Köppen unterwirft? Jupp!

Wenn wir Meinungen im Rampenlicht «keine Plattform geben», weil aus unserer Sicht dummes oder gefährliches Zeug ist, schauen wir einfach weg. Geben wir ihnen eine Plattform, die allen hilft, dieses dumme oder gefährliche Zeug einzuordnen, ist das Engagement für unsere (hoffentlich gute) Sache.

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