Corona – Shit just got real

Meine Toleranz für «Coronaskeptiker» wurde in den letzten Wochen schon arg reduziert. Und den Begriff Toleranz bitte ich, in diesem Kontext im Sinne von Harald Schmidt zu verstehen: «Dieses laue Gefühl aus Ekel, Verachtung und Mitleid - genannt Toleranz.»

Nun ist es heute Morgen soweit gewesen. Eine Person aus unserem Umfeld hatte am letzten Dienstag Kontakt mit einer anderen Person, die jetzt positiv auf Covid-19 getestet wurde. Wir haben uns zuletzt am letzten Donnerstag gesehen. Auch wenn das Risiko minimal ist:

  • Sie ist vorsichtig, hat sich also wahrscheinlich nicht angesteckt.
  • Selbst wenn: Nach nicht ganz 48 Stunden ist sie wahrscheinlich noch nicht sehr ansteckend.
  • Wir haben Abstand gehalten und sie hat eine FFP2-Maske getragen (sie ist eben sehr vorsichtig, da sie im Job mit Menschen zu tun hat).

Heute (Sonntag) lässt sie sich testen. Wir denken jetzt drüber nach, was das für uns bedeutet und was ein positives Testergebnis bei ihr für uns bedeuten würde. Abgesehen davon denken wir auch über allfällige Folgen für sie und ihre Familie nach.

  • Natürlich begeben wir uns bis zu ihrem (hoffentlich negativen) Testergebnis in Quarantäne.
  • Natürlich sind wir froh, am Freitag und Samstag die Einkäufe mit Maske erledigt zu haben. Auch wenn wir nichts wussten und keine Symptome hatten, hätten wir ansteckend sein können.
  • Natürlich werde wir uns Im Falle eines positiven Testergebnisses bei ihr voraussichtlich am Dienstag / Mittwoch auch testen lassen und bis zum Ergebnis weiter zuhause bleiben.
  • Und sollten wir auch ein positives Testergebnis haben: Fuck! Keine Panik, klar, aber Angst. Der dicke, asthmatische Deutsche gehört zur Risikogruppe.

Und das ist der Grund, der meine Toleranz gegenüber mathematisch minderbegabten «Skeptikern» auf null sinken lässt. Ein «Ich trage keine Maske und verzichte nicht auf Parties, weil das meine persönliche Freiheit einschränkt.» ist nur eine andere Formulierung für «Dein Leben ist mir weniger Wert als meine ‹persönliche Freiheit›».

So ist in dieser Situation die eigene persönliche Freiheit extrem wichtig, während erstaunlicherweise von Chirurgen erwartet wird, dass sie Hygienemassnahmen bei OPs beachten; von anderen Autofahrern erwartet wird, einen über den Zebrastreifen zu lassen und nicht zu überfahren; oder kurz: Die «persönliche Freiheit» anderer ist nicht mehr relevant, wenn es um die eigene Gesundheit geht.

Und genau dieses Recht nehme ich mir jetzt auch raus: Eure «persönliche Freiheit» interessiert mich einen Dreck, wenn es um meine Gesundheit geht. Insbesondere dann, wenn diese persönliche Freiheit an solchen Nichtigkeiten festgemacht wird. Wenn Ihr für meine Gesundheit Waterboarding oder einen Job mit ungeschütztem Kontakt zu Atommüll auf Euch nehmen müsst, bin ich bereit, das Ganze erneut zu reflektieren. Aber Masken? Hell no!

Ich bitte, das nicht falsch zu verstehen: Natürlich könnt Ihr ein erhöhtes Ansteckungsrisiko auf Euch nehmen, wenn Euch anderes wichtiger ist. Es wäre sowieso absolut sinnvoll, Euch aus dem Genpool der Menschheit zu verabschieden (schlagt das nach, es ist sehr böse). Aber Ihr entscheidet damit auch für andere und das ist – mit Verlaub – asozial.

Heisst das, ich finde alle Massnahmen sinnvoll und richtig? Heisst es, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Menschen und Firmen sind mir egal? Nein und nein.

Die Massnahmen sind in meiner Wahrnehmung teilweise überzogen und teilweise nicht weitgreifend genug. Aber ich bin kein Epidemiologe und kein Virologe. Meine Grundkenntnisse in Mathematik und Statistik reichen aber, um das Problem zu verstehen.

Natürlich musste die Politik einen Mittelweg finden bei dem Massnahmen einerseits wirken und andererseits breit genug akzeptiert werden, um eingehalten zu werden und damit wirken zu können. Dieses Abwägen ist jetzt wahrscheinlich durch, da zu viele die weniger rigorosen Massnahmen wegen ihrer «persönlichen Freiheit» nicht akzeptiert haben. Ich bin jedenfalls froh, im Kanton Bern zu leben, in dem der Regierungsrat «Eier» gezeigt und bereits rigorosere Massnahmen umgesetzt hat.

Aber was ist mit Gastronomie, Hotellerie und der Veranstaltungsbranche (und wahrscheinlich noch vielen anderen)? Tja, für die ist es in der Tat richtig Scheisse, sie tun mir leid und der Staat sollte sie unterstützen. Wo wir es können, unterstützen auch wir.

Aber würde es diesen bedrohten Branchen helfen, wenn wir jetzt zum normalen Verhalten zurückkehrten? Ich glaube nicht. Der Tourismus (mit Hotellerie und Restaurants) lebt stark vom Ausland. Im Moment kann man das gepflegt hacken, da wohl keiner sich freiwillig einer erhöhten Ansteckungsgefahr aussetzt … in der Zeit, die man zum Abschalten und Entspannen nutzen will. Auch Einheimische wollen lieber (Über-) Leben als mal um die Ecke Essen zu gehen. Ohne Schutzkonzepte wären die Restaurants leerer. Insbesondere, wenn die Freiheitsliebenden dann auch noch krank werden und zu einem (kleinen) Teil aussterben.

Die Eventbranche ist für mich persönlich das Schwierigste. wie gern würde ich wieder ein Konzert oder ein Fussballspiel live sehen. Im Moment traue ich mich aber nicht, weil ich derzeit (grade als Asthmatiker) meine Fähigkeit zu Atmen und weiter zu Leben viel höher bewerte als diesen Drang. Auch hier (Events und Kultur) muss der Staat unterstützen. Es wäre dramatisch, gäbe es nach der Pandemie die ganze wertvolle Branche nicht mehr. Wir müssen auch dran denken, dass Künstler per Alben oder Online noch ein kleines Einkommen generieren können, aber Licht- und Tontechnik quasi einen Totalausfall hat.

Was will ich denn jetzt eigentlich?

Ich will sagen:

  • Wer die aktuellen Massnahmen wegen seiner «persönlichen Freiheit» ignoriert, ist für mich asozial. «Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.» Immanuel Kant (1724-1804)
  • Die Politik hat einen scheissschweren Job, bei dem sie immer gefickt sind. Es wird immer Leute geben, die sagen «viel zu wenig», und andere, die sagen «viel zu viel». In diesem Spannungsfeld machen Bund und Kanton Bern meiner Meinung nach einen guten Job (auch wenn ich mir – Stand heute – mehr wünschte).
  • Ich hätte diese Pandemie extrem gerne ohne bleibende Schäden an Gesundheit und Wirtschaft hinter mir. Das ist allerdings nur ein sehr frommer Wunsch, den ich zwar auf meine Wunschliste schreiben werde, den der Weihnachtsmann aber in diesem Jahr wohl nicht erfüllen wird.
  • Haltet Euch an die Regeln. Wenn Ihr Eure Freiheit über die Rebellion gegen diese Regeln definiert, ist es nicht sonderlich weit her mit dieser Freiheit. Definiert sie doch darüber, dass Ihr zuhause nackt rumlaufen dürft.

Gangsta-Rap

Vor kurzem hat Herr Natischer (@Herr_Natischer) einen Link zu einem Musikvideo von Sens Unik vs. Die Fantastische Vier (Original) auf Twitter geteilt und mit dem folgenden Kommentar versehen:

Und das, liebe Kinder, sind nur 2 von sehr vielen Gründen, warum wir älteren Frau- & Herrschaften dieses heutige Hipgehoppe oft eher so mittel finden.

Da hat er recht und ich kann das so gut nachvollziehen. Es gibt unglaublich viele coole und authentische Hiphoppler, die es nicht nötig hatten oder haben, für die Bekanntheit einen auf Bad-Boy/-Girl – oder genauer unglaublicher Dummbatz / unglaubliche Dummbatzin – machen zu müssen. Die waren einfach auch ohne dieses gekünstelte Gehabe gut genug um erfolgreich zu sein.

Und dann habe ich grade heute heute von einem (mir) unbekannten Deutschen Gangstarapper gelesen, der Shahak Shapira in einer Sprachnachricht nicht nur auf's übelste beschimpft sondern auch bedroht hat, weil dieser sich erdreistete, Drohungen dieses … mir fällt kein passender Kraftausdruck ein … gegen eine Frau öffentlich zu machen. Hier könnte man natürlich sagen: Fair enough, das ist halt Marketing (der meint das nicht so, der will doch nur spielen). Man könnte aber auch sagen: Eine polizeiliche Massnahme wäre das mindeste.

Eine Geschichte von vor vielen Jahren

Und als ich über diese Scheisse nachgedacht habe (passiert von Zeit zu Zeit und ist nicht so schmerzhaft, wie man vermuten würde), fiel mir eine Geschichte ein, die ich vor vielen Jahren auf den Kanaren erlebt habe (most likely: Gran Canaria).

Ich war viel zu früh in einem Club in dem «Black Music» laufen sollte. Der DJ war imposant: 1.90, 120 kg Muskeln, schwarz, aus Detroit und unglaublich sympathisch. Weil noch nichts los war, sind wir ins Gespräch gekommen. Und als er dann angefangen hat, sass ich neben ihm. Das ist noch nicht die Geschichte. Das ist die Vorgeschichte. Es kommt mehr.

Jedenfalls sind gegen Mitternacht, die jugendlichen Gangsta-Rapper aus den Englischen Mittelstandsvierteln aufgelaufen. Natürlich haben sie sich in Hinblick auf ihre Street-Cred verhalten wie Biggie oder Tupac. Das ist nachvollziehbar. Ich hab mich in dem Alter auch aufgeführt wie der Undertaker (peinlich, ist aber so).

Was ich dagegen traumhaft schön fand (insbesondere, weil es nicht aus bösem Willen passierte, sondern wirklich spontan war): Der DJ, dem ich die Gangsta-Rap Schose definitiv abgenommen hätte, musste laut und lange Lachen, als er die Kinder sah, die im Prinzip wie kleine Ali-Gs aussahen, nur dass es bei ihnen im Gegensatz zu Sacha Baron Cohen eben keine Satire war.

Deutscher Gangsta-Rap macht auf mich genau denselben Eindruck einer ungewollten Parodie: Von aussen lächerlich, aber im Kern ernst.

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