TL/DR

Ist die Fahrtzeit ein Argument gegen ein generelles Tempolimit? Klar ist sie das. Es gibt einen Teil der Autofahrer und Autofahrerinnen, bei denen sich der Arbeitsweg zeitlich verlängern würde. Ist das für diese Leute individuell gefühlt ein Problem? Kann gut sein.

Und jetzt kommt das ABER:

  • Längst nicht alle Deutschen nutzen ein Auto um zur Arbeit zu kommen oder für die Arbeit selber.
  • Von denjenigen, die mit dem Auto fahren (müssen), fahren längst nicht alle Autobahn.
  • 43 % der Deutschen Autobahnen haben schon jetzt Geschwindigkeitsbeschränkungen.
  • Auf den Teilstrecken ohne Geschwindigkeitsbeschränkung sind sehr viele Menschen unterwegs, die weniger als 250 km/h fahren - auch auf der Überholspur.
  • Wenn ein Tempolimit auch nur 5% der Deutschen real betreffen würde, fände ich den Wert schon hoch, da folgendes gelten muss: Fahren Auto UND wollen über 130 km/h fahren UND können zumindest auf Teilstrecken über 130 km/h fahren UND sparen durch die Anteile, die sie über 130 fahren, praktisch signifikant Zeit ein (mehr als 5%).

Es gibt viele Randbereiche, die ich nicht berücksichtigt habe. Berufskraftfahrer (oder solche, bei denen der Weg zum Kunden mit dem Auto zurückgelegt werden muss) haben zeitlich eventuell ein grösseres Problem. Wobei das nicht so viel grösser werden kann als 4% eines acht Stunden Tages: 20 Minuten.

Oder auch: Wenn sich mal jeder kurz Anschauen würde, wie schnell wir im Schnitt so fahren, kämen wir sicher darauf, dass keiner (auch nicht jemand mit einem Bugatti) über 130 km/h Durchschnitt kommt. Wenn wir uns dann noch anschauen, wie viel davon wir tatsächlich über 130 km/h fahren, wird die ganze Diskussion hinfällig. Niemand verliert irgendwas, ausser der «Freiheit». Aber wir haben schon die «Freiheit» verloren, vor der Autofahrt eine Kiste Riesling zu trinken, die «Freiheit», während der Fahrt das Handy am Ohr zu haben, die «Freiheit», unsere Kinder ohne Gurt im Kofferraum zu platzieren. Da sollte diese letzte, kleine Freiheit für die Automobilisten doch nicht mehr das pièce de résistance sein.

Warum mich Scheinargumente so, so, so nerven

Seit Jahren wird mehr und mehr und immer hitziger diskutiert. Während ich den Meinungsaustausch und auch den Austausch von Argumenten schön und wichtig finde, ist meine Freude um die immer hitzigere Form dessen - bis hin zu Beleidigungen und Drohungen - eher klein.

Es fällt mir auch immer schwerer, Menschen zuzustimmen, die die - meiner Meinung nach - richtige Position vertreten, wenn dies mit Lügen passiert. Wenn ich zustimmen will, ist es traurig nicht einfach sagen zu können «Da hässe Rääch!», weil das Argument einfach entweder komplett übertrieben oder im schlimmsten Fall schlicht falsch ist (was ja nicht heisst, dass die Meinung / das Ziel falsch sein muss). Hingegen kann ich sehr gut damit Leben, beziehungsweise dagegen argumentieren, wenn jemand die meiner Meinung nach falsche Position mit Lügen oder Übertreibungen vertritt. Das macht die Argumentation wesentlich leichter.

Ich verstehe, dass es bei einigen wenigen passiert, weil sie schlicht nicht die geistige Kapazität haben, und bei den Meisten, weil sie sich nicht die Zeit nehmen (wollen), ein passendes Argument zu prüfen, bevor sie es in ihre Argumentation einbauen. Dann gibt es die zum Glück sehr wenigen, die bewusst Lügen, Schein-Argumente nutzen, die diese Konstruieren (sich ausdenken), um ihre Meinung zu untermauern. Diesen Menschen mangelt es nicht unbedingt an Intelligenz, aber mit Sicherheit an Anstand.

Grade fleucht wieder ein Argument durch die Landschaft, dass ein Tempolimit ja zu erhöhten Fahrtzeiten auf dem Arbeitsweg führt (das natürlich richtig ist, so man denn auf dem Arbeitsweg ein Auto und Tempolimit-freie Autobahnen nutzt). Für die Argumentation für ein Tempolimit wird sie ähnlich, aber ein bisschen weniger falsch verwendet.

Ich habe mal in meinem Leben zurückgeblickt. Mit Knapp 50 kann man damit enorm viel Zeit verdödeln. Vor gut 20 Jahren bin ich immer wieder dieselbe Strecke zu einem Kunden für ein kurzzeitiges Projekt gefahren; die ersten drei Monate, dann weitere drei, dann nochmal sechs, ... Ihr könnt Euch vorstellen, wo das hinführt. Wer jetzt «Klimasünder!!!» ruft, hat leider recht. Ich war jung und habe wenig nachgedacht. Heute wäre das für mich keine Option mehr.

Im ersten Jahr bin ich täglich gefahren was die Karre hergegeben hat (nicht ganz, bei 220 km/h war bei mir Schluss). Nachdem dann das zweite Jahr kam, habe ich für mich entschieden, dass 130 km/h reichen und ich lieber später ankomme als gestresst anzukommen. Auch das war unbefriedigend, als klar war, dass das dritte Jahr kommen würde, habe ich mir eine Wohnung am Arbeitsort genommen.

Meine rechnerischen Verluste

Jetzt also zu dem massiven Zeitverlust: Von den 270 km pro Tag bin ich 240 auf Autobahnen gefahren. Rund 60%, also 144 km davon waren ohne Tempolimit, was in etwa den 57% im Deutschen Durchschnitt entspricht. Auf den 30 km von und zur Autobahn nehme ich mal einen Durchschnitt von 80 km/h an. Für die brauche ich also gut 22 Minuten, die gleich bleiben, egal wie das Tempolimit auf der Autobahn ist.

Für den Teil mit Tempolimit (96 km) nehme ich einen Durchschnitt von 120 km/h an, der auch gleich bleibt, egal ob ein generelles Tempolimit kommt oder nicht. Das sind 48 Minuten.

Das bedeutet, das ich täglich eine Stunde und zehn Minuten komplett losgelöst von einem generellen Tempolimit verbringe. Jetzt also die 144 km, auf denen ich die Sau rauslassen kann (das ist nicht so positiv gemeint, wie es klingt). Fahre ich dort 220 km/h, brauche ich nur 39 Minuten - falls sonst keiner Unterwegs ist, aber dazu dann gleich. Fahre ich 130 km/h brauche ich für den Teil 66 Minuten, also eine Stunde und sechs Minuten - auch hier: Sofern ich alleine auf der Autobahn bin.

Rein rechnerisch brauche ich also mit einem generellen Tempolimit von 130 km/h pro Tag 27 Minuten länger als ohne dieses. Das bedeutet, dass ich ohne Tempolimit meinen täglichen Arbeitsweg von 2:16 auf 1:49, also um knapp 20% reduzieren kann. Bei zweihundert Arbeitstagen sind es 90 Stunden pro Jahr, die ich rechnerisch mehr mit Familie und Freunden verbringen kann. Bei diesem rein rechnerischen (weil unrealistischen) Beispiel kommen dann auch Zusatzkosten durch höheren Spritverbrauch von rund 2'880 € (144 km, 200 Tage und optimistische fünf Liter Mehrverbrauch bei 220 gegenüber 130) hinzu. Jede dieser 90 Stunden kostet also 32 €.

Und jetzt zur Realität

Jetzt zu den Erfahrungswerten. Auf der Strecke bin ich (beim Sau rauslassen) seltenst über 160 km/h gekommen, weil einfach noch viele andere dieselben Autobahnen genutzt haben. Wenn ich ausserhalb des Berufsverkehrs gefahren bin, habe ich im ersten Jahr ohne Limit knapp etwas über zwei Stunden (sagen wir im Schnitt 2:10) Fahrtzeit pro Tag gehabt. Im zweiten Jahr mit einem selbstauferlegten Limit von 130 km/h habe ich rund 2:20 gehabt.

Ich habe also durch massiv mehr Stress (Beschleunigen, Bremsen, Beschleunigen, Bremsen, ...) 10 Minuten pro Tag oder 4% der Fahrtzeit eingespart. Das macht dann im Jahr grade mal 33 Stunden aus. Dennoch können diese zehn Minuten viel Wert sein. Ich finde aber, dass sie es nicht Wert sind, meiner Familie und meinen Freunden mit meinem gestressten Gemüt auf den Sack zu gehen.

Und ich rede von 4% der Fahrtzeit. Wenn ich jetzt annehme, dass ich acht Stunden arbeite und insgesamt eine Stunde Pause mache, bin ich am Tag (mit Tempolimit) 11:20 Stunden weg. Durch den Wegfall des Tempolimits könnte ich das auf 11:10, also um saubere 1.4% reduzieren.

Der/die durchschnittliche Deutsche legt (Stand 1999) übrigens nur knapp 34 km Arbeitsweg zurück. Würde er/sie also auf der Autobahn wohnen und die Arbeitsstätte auf der Autobahn liegen, keine Streckenabschnitte mit Tempolimit dabei sein und alle anderen Verkehrsteilnehmer eingesperrt werden, bräuchte diese Person bei einem generellen Tempolimit von 130 km/h knapp 16 Minuten pro Tag. Hätte diese Person einen schnellen Wagen und würde diesen mit 250 km/h ausfahren, wäre das nur noch acht Minuten. Fast 50% einsparen klingt schon verlockend. Aber ohne Ortsdurchfahrt und Landstrasse kommen wohl die wenigsten zur Autobahn.